Eine ständige Herausforderung für Lehrkräfte, Lesende und Bibliothekar:innen ist der begrenzte Umfang des westlichen Kanons und seine Betonung der vorherrschenden kulturellen Sichtweisen. Bücher von Autoren, die Ähnlichkeiten mit den ursprünglichen Lesenden hatten, wurden oft als erste aufgenommen. Infolgedessen wurden die Texte, die die Grundlage des westlichen Kanons bilden, hauptsächlich von europäischen und amerikanischen Männern geschrieben und ausgewählt.
Der Begriff „kanonwürdig“ („canon-worthy“) wird oft mit einem „wichtigen und einflussreichen“ literarischen Werk in Verbindung gebracht. Dies hat jedoch zur Folge, dass die ursprünglichen Erstellenden nur eine begrenzte Auswahl an Texten hatten, da weniger bekannte Autor:innen und diejenigen, die einer Minderheit angehörten, oft erhebliche Hindernisse zu überwinden hatten, um sich Gehör zu verschaffen oder ihre Werke zu veröffentlichen. Aufgrund demografischer, sozioökonomischer und ideologischer Veränderungen sollten sich die Werke, die als „wichtig und einflussreich“ gelten, im Laufe der Zeit natürlich verändern.
Im Folgenden erörtern wir vier der vielen Gründe, weshalb es wichtig ist, den westlichen Kanon weiter auszubauen.
1. Erweiterung der Perspektiven
Es ist allgemein bekannt, dass die Literatur des aktuellen westlichen Kanons hauptsächlich von europäischen und amerikanischen Männern geschrieben wurde. Durch die Einbeziehung von Werken von Autor:innen mit unterschiedlichen, von verschiedenen Erfahrungen geprägten Ansichten entdecken die Leser:innen neue und vielschichtige Sichtweisen auf die zunehmend integrierte Welt.
2. Berichtigung von Ausschlüssen
Der Kanon enthält traditionell nur wenige Werke von Frauen, People-of-Color sowie Personen, die Minderheiten angehören. Eine Erweiterung der Liste der „wichtigen“ Literatur um verschiedene Stimmen spiegelt die gesamte Kultur besser wider und unterstreicht die Bedeutung solcher Werke für eine sich entwickelnde Welt.
3. Darstellung der zeitgenössischen Gesellschaft
In vielen Büchern des aktuellen westlichen Kanons werden zeitlose Themen durch die Brille ihrer jeweiligen Epoche betrachtet. Die Zeitlosigkeit der menschlichen Natur gewinnt an Tiefe und Breite, wenn zeitgenössische Stimmen als Fortsetzung der gesammelten Gedanken und Gefühle über die Welt hinzugefügt werden.
4. Förderung literarischer Innovation
Oft sind es zeitgenössische und unterrepräsentierte Autor:innen, die literarische Formen schaffen und neu beleben. Die Aufnahme ihrer Werke in den Kanon kann die Vorstellungen über Literatur und ihre Rolle bei der Reflektion, Förderung oder Veränderung der Welt erweitern. Es wurden neue Genres geschaffen, darunter z. B. das Genre „Climate Fiction“. Als der westliche Kanon geschaffen wurde, hatten seine Schöpfer nicht bedacht, dass neue und aufkommende literarische Stile entstehen und der literarischen Welt helfen würden, sich auf natürliche Weise weiterzuentwickeln.
Durch die Erweiterung des westlichen Literaturkanons wird sichergestellt, dass die Lesenden mit verschiedenen Stimmen und Perspektiven, Autor:innen, Genres und Erfahrungen in Berührung kommen. Bei der Erforschung von Literatur ist es für eine umfassendere und integrative Perspektive wichtig, über den westlichen Kanon hinauszublicken.